Dunkle Schatten
Joseph Stoll - Seine Rolle im Dritten Reich
Ende März entschloss sich Joseph Stoll zum Beitritt in die NSDAP und wurde ab dem 1. April 1933 unter der Mitgliedsnummer 1695493 als Parteimitglied geführt.
Als es am 24. April zur Übernahme des Rathauses durch die Nationalsozialisten kam und Dr. Rudolf Angermeier durch Heinrich Nachtigall ersetzt wurde, wurde als 2. Beigeordneter auch Joseph Stoll in den Stadtrat berufen. Hier bildete er im Vergleich zu den anderen Funktionsträgern eine Ausnahme. Diese waren meist jünger und vor allem weitaus früher in die Partei eingetreten. Stolls Tätigkeiten als Künstler und Heimatdichter stellte für die Partei einen besonderen Wert dar. Schon im März 1933 hielt Joseph Stoll - im BA voreilig als Parteigenosse bezeichnet - seine erste politische Rede, die neben etlichen Erwähnungen Hitlers am Schluss der Rede Hindenburg vor Hitler huldigte. Die Erwähnung Hindenburgs in Reden und Zeitungsartikeln endete mit seinem Parteieintritt. Im Laufe des Monats März wurden weitere Redebeiträge im BA veröffentlicht und auch ein Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte wurde von Joseph Stoll - als Vertreter des Gewerbevereins - und dem Vorsitzenden des Handelsvereins unterzeichnet. Im April 1933 trat Joseph Stoll auch zum ersten Mal in Parteiuniform auf.
Als 2. Beigeordneter war Joseph Stoll für das Verkehrs-, Bau- und Kulturwesen in Bensheim zuständig und konzentrierte sich hier auf Maßnahmen zur Stadtverschönerung und den Ausbau des Fremdenverkehrs. Sein Hauptaugenmerk lag aber auch weiterhin auf der Durchführung des Winzerfestes, wobei dies immer stärker auch durch die NSDAP in Beschlag genommen wurde. Neben der Tätigkeit als 2. Beigeordneter fungierte Joseph Stoll auch als Kreisobmann des RVH (Reichsbundes Volkstum und Heimat) und konnte so seine Ziele im Bereich der Heimatpflege mit denen der NS-Institutionen kombinieren und erreichen. Innerhalb seines Berufes avancierte Joseph Stoll am 26. März 1934 zum kommissarischen Leiter der gewerblichen Abteilung der Berufsschule. Im April 1935 übernahm er auch die kaufmännische und hauswirtschaftliche Abteilung. Nebenamtlich wurde ihm im Dezember 1934 auch die Leitung der Gewerbe- und Malerschule anvertraut. Im Rahmen seiner Tätigkeiten als Lehrer bzw. Direktor trat Stoll ebenfalls politisch hervor.
Auch innerhalb der Partei bekleidete Stoll Ämter. Zum einen das Amt des Ortsgruppenpropagandaleiters (1934), eine Funktion die die Darstellung des Nationalsozialismus umfasste, zum anderen seit 1937 Hauptstellenleiter für Kultur. Aufgrund der unzureichenden Quellenlage lässt sich kein genaues Bild seiner beiden Funktionen zeichnen. Es lässt sich jedoch feststellen, dass Stoll weder ein typischer Parteifunktionär war noch großes Engagement im Bereich der NSDAP-Mitgliederversammlungen zeigte. Es scheint, als bildete Stoll vorrangig eine Art folkloristisches Begleitprogramm zu den Veranstaltungen der NSDAP.
In dem vom Magistrat Bensheim in Auftrag gegebenem Gutachten lautet Prof. Dr. Söhnke Neitzels Fazit: "[...] Stolls seit den Jahren 1937/38 spürbare Distanz, sein beginnender Rückzug aus der Öffentlichkeit, zumindest in politischer Hinsicht, und sein sukzessives Ausscheiden aus seinen zahlreichen Funktionen zwischen 1939 und 1941 können nicht als offener Bruch mit dem Nationalsozialismus gewertet werden. Es ist vielmehr eine Passivität, in die er sich flüchtete, offenbar nicht mehr konform gehend mit der Radikalisierung des Systems seit den Pogromen von 1938 und dem Kriegsausbruch 1939. [...] Umso aktiver brachte sich Stoll seit März 1933 ein. Es genügt, sich die Eckdaten seines politischen Werdegangs zu vergegenwärtigen (vgl. Kap. III.1.b): Am 21.3. hielt er seine erste politische Rede, und am selben Tag marschierte die Bürgerwehr erstmals mit den Parteiformationen auf. Kurz darauf, am 24.3., veröffentlichte er ein Gedicht zur Machtergreifung und am 27.3. machte er den Gewerbeverein mit den NS-Zielsetzungen bekannt. Am 31. März gehörte er zu den Mitunterzeichnern eines Aufrufes zu den ersten Judenboykotten nach der NS-Machtübernahme, und am 1.4. wurde er Parteimitglied. Seine zweite Programmrede hielt er am 22. April auf einer NSDAP-Veranstaltung. Zwei Tage später, am 24. April, wirkte er an der inszenierten Absetzung des amtierenden Bürgermeisters mit und wurde zum 2. Beigeordneten erklärt. Damit hat Stoll an der Konsolidierung des Nationalsozialismus aktiv mitgewirkt, die ohne die Beteiligung der städtischen Eliten zumindest nicht so rasch möglich gewesen wäre. Andernorts funktionierte die Machtübernahme keineswegs so reibungslos, da sich maßgebliche Eliten dort nicht zur Verfügung stellten. [...]"
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem Spruchkammerverfahren, das am 12.04.1948 mit einer Geldstrafe wegen Mitläuferschaft beendet wurde. So lautet es in der Anklage:
"[...] Zu seiner Entlastung bringt der Betroffene eine Reihe von eidesstattlichen Erklärungen, aus denen hervorgeht, daß er im persönlichen Umgang sich nicht als Fanatiker gezeigt hat. Ein Entlastungszeuge gibt an, daß der Betroffene ihn vor dem KZ bewahrt habe. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Betroffene sich mindestens 1933 als überzeugter und rühriger Nazi gezeigt hat. [...]" "[...] Bei der Bemessung der Sühnestrafe kann als mildernder Umstand bewertet werden, daß der Betroffene gegen seine Umgebung sich nicht fanatisch gezeigt hat und daß er durch seine Führsprache nachweislich einen Mitbürger vor dem KZ bewahrt hat. [...]"
Insgesamt lagen der Spruchkammer über 25 Aussagen zur Entlastung des Vorwurfes eines überzeugten Nationalsozialisten vor.
Emil F. bestätigte am 25.01.1947, dass "[...] er (Joseph Stoll) mich durch seine Fürsprache im Mai 1933 vor einer Verhaftung und Verbringung nach dem K.Z. Osthofen bewahrt hat [...]."
Hugo K. erklärte am 01.06.1946, dass "[...] Herr Stoll über meine politische Vergangenheit genau unterrichtet war, hielt er mit mir, dem ehemaligen Konzentrationslagerhäftling, gute Freundschaft und protegierte mich wo er nur konnte.[...]In der ganzen Zeit wo ich Herrn Stoll kenne [...] hat dieser mir mir gegenüber niemals den "Nazi" herausgesteckt, im Gegenteil, ich hatte immer den Eindruck, als ob Herr Stoll von der Politik überhaupt nichts mehr wissen wollte."
Dies wird auch durch die Zeugen Herrn B. am 28.09.1947 bestätigt: "[...] Bei unseren abendlichen Unterhaltungen stellte ich sehr bald fest, daß im Hause Stoll auch im Beisein eines Regierungsbeamten eine sehr offene und harte Kritik an dem herrschendem System geübt wird. Stoll zeigte sich mit den vielen Methoden des Regimes, insbesondere mit der Judenbehandlung, Außenpolitik und der Kirchenfrage keinesfalls einverstanden. Bei der Beurteilung der ihm unterstellten Beamten zeigte Stoll sich gerade den Übereifrigen nicht gerade gewogen, schützte dagegen manchen von der Partei angestänkerten [...] und fleißigen Berufskameraden. [...]"
Joseph H. bezeugte: "[...] Herr Stoll gab dabei seine Auffassung über die Auswüchse des Systems sowie die Übergriffe und verwerflichen Handlungsweisen der Nazibonzen offen Ausdruck."4 Phillippe W. 19.01.1948: "Je, soussigae certifie avoir habité en 1927 chez Monsieur Josef Stoll à Bensheim ou j'ai appris l'allemand. J'avais été plusieurs fois depuis et je compris une visite en 1939 et toujours j'ai été très bien recu quoique Monsieur Stoll connaissait mon origine israelite. / Ich Unterzeichnender bestätige im Jahre 1927 bei Herrn Stoll in Bensheim gewohnt zu haben, wo ich deutsch lernte. Seitdem bin ich mehrmals dort gewesen, einschließlich eines Besuches im Jahre 1939. Immer bin ich gut aufgenommen worden, obgleich er meine jüdische Herkunft kannte."
Insgesamt lagen der Spruchkammer über 25 Aussagen zur Entlastung des Vorwurfes eines überzeugten Nationalsozialisten vor.
Auch der ehemalige Bürgermeister Dr. Rudolf Angermeier, der am 24.04.1933 durch den vom Innenminister ernannten Bürgermeister Nachtigall seines Amtes enthoben wurde, dies auch in Beisein Joseph Stolls, schreibt am 15.05.1951 in einer Stellungnahme zur Entstehung und Durchführung des Bergsträßer Winzerfestes seinem Freund: "Lieber Stoll, [...] daher legte ich aus freien Stücken dem Verkehrsverein Bensheim, an dessen Spitze der rührige Gewerbelehrer Herr Joseph Stoll stand nahe, den Ausbau und die Weiterentwicklung des Winzerfestes als selbständige Aufgabe [...] zu übernehmen. [...] Denn mit nicht zu überbietendem Eifer und Geschick nahm Herr Stoll die Sache in die Hand. Es bleibt ein historischer Verdienst des Verkehrsvereins und in erster Linie seines Vorsitzenden im Laufe arbeitsreicher Jahre aus dem Bergsträßer Winzerfest ein Volksfest für die ganze Bergstraße gemacht zu haben [...]. Dank und wohlverdiente Anerkennung in dieser Sache waren und werden Herrn Stoll seitens aller Gönner und Freunde des Winzerfestgedankens immer gewiss sein. [...] mit den besten Grüßen Dr. Rudolf Angermeier, Bürgermeister i.R."
In 2006 veröffentlichte die Stadt Bensheim ihre neue Chronik. Trotz einer ausführlichen Darstellung der Person Joseph Stoll lagen den Herausgebern der Chronik nicht alle verfügbaren Unterlagen zu Joseph Stoll vor. Etliche Ergänzungen flossen zwar in das von Herrn Neitzel verfasste Gutachten ein, jedoch fehlen auch hier noch etliche Unterlagen.