Bergsträßer Winzerfest
Das erste Bergsträßer Winzerfest fand vom 19. bis 22. September 1929 statt. Initiator dieses Festes war der Verkehrsverein unter dem 1. Vorsitzenden Joseph Stoll, dem 2. Vorsitzenden und Schriftführer Eduard Haßloch und dem Rechner Hans Keller, allerdings waren diese Herren bereits zuvor an einer Veranstaltung beteiligt, die als Vorläufer des Winzerfestes zu sehen ist. Dies war die Bensheimer Woche, die das lokale Werbeveranstaltung für heimische Betriebe und Waren gedacht war.
Die Bensheimer Woche als Vorläufer
Als Ausgangsbasis für das heutige Winzerfest diente die "Bensheimer Woche" vom 3. bis 11. September 1927, die von einem Ausschuss unter der Leitung des damaligen Bürgermeisters Rudolf Angermeier als Werbewoche mit landwirtschaftlichen Maschinen, einer Viehausstellung, einer Gewerbe- und Gartenausstellung sowie einem Schaufensterwettbewerb und einem Festzug im Frühjahr 1927 geplant wurde.
1929 - Bergsträßer Winzerfest als Weiterentwicklung
Durch den Erfolg der "Bensheimer Woche" überzeugt, ebnete Joseph Stoll den Weg zum ersten Bergsträßer Winzerfest das parallel eine Gewerbeausstellung enthielt. Mit der Idee der Gewerbeausstellung und dem Winzerfest führte Joseph Stoll das Konzept "Hilfe zur Selbsthilfe" weiter. Ziel war der wirtschaftliche Aufschwung des Handels und des Gewerbes in Bensheim und gleichzeitig durch den Fremdenverkehr für den nötigen Bekanntheitsgrad von Bensheim zu sorgen. Der wirtschaftliche Aufschwung und der Fremdenverkehr, der die nötigen Kunden brachte, war in einer Zeit der größten wirtschaftlichen Not (Weltwirtschaftskrise) in Bensheim dringend nötig und Aussagen wie "Einigkeit macht stark!" oder "Hilf dir selbst" waren damals keine Parolen sondern bittere Notwendigkeit. Das Risiko war hoch, denn für das erste Winzerfest wurden rund 6800 Mk freigegeben. In der Kasse des Verkehrsvereins befanden sich 124 Mk. Außerdem bestand ein Fond von 3700 Mk. aus den Überschüssen der Werbewoche 1927. Er konnte nur unter gewissen Auflagen herangezogen werden, aber man brauchte nicht auf ihn zurückzugreifen, das Fest trug sich selbst und brachte einen Überschuss von 20,80 Mk.1 Trotz des Erfolges des ersten Winzerfeste gab es natürlich auch Kritik und Gegenstimmen.
1931 - "Wir wollen kein Winzerfest"
Zu Beginn des Jahres 1931 erklärte der geschäftsführende Vorstand des Verkehrsvereins - Stoll, Haßloch und Keller - in einem sehr persönlichen Zeitungsartikel seinen Rücktritt. Ganz wesentlich zu diesem Rücktritt hatte die Interessenlosigkeit der Bevölkerung und besonders der eigentlichen Nutznießer der Arbeit des Verkehrsvereins beigetragen. So erklärte der Vorsitzende des Gastwirtevereins, dass die ansässigen Gastwirte, die nicht auf dem Winzerdorf vertreten waren, keinerlei Interesse am Winzerfest hätten. Derartige Beispiele von der Auffassung der Geschäftswelt gab es einige. Viele wollten die Vorteile, die die Arbeit des Verkehrsvereins ihnen brächte, sehr wohl genießen, selbst aber waren sie nicht bereit, ihren Beitrag zum Gelingen des Winzerfestes zu erbringen. Es wurde befürchtet, dass die bisherige Arbeit umsonst war und es wurde die Zukunft des Winzerfestes in Frage gestellt, dies war insbesondere für Joseph Stoll ein herber Rückschlag, hatte er doch durch massive private finanzielle und zeitliche Aufwendungen außerhalb der offiziellen Geldquellen das Winzerfest mitgestaltet.
Es geht weiter - Winzerfest 1931
Der Vorstand des Verkehrsvereins in Bensheim konnte davon überzeugt werden, zu bleiben. Einzig Eduard Haßloch schied aus und wurde durch Schmidt ersetzt. Damit blieb das Winzerfest in Bensheim und wurde auch wieder 1931 gefeiert. Der allgemeine Erfolg des Winzerfestes ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Joseph Stoll bereits sehr früh Kontakte zu Trachtenvereinen und Bürgerwehren in der näheren Region bis hin zum Bodensee hielt und auch pflegte. So kam es z.B. im Jahre 1934 zu einem der großen Trachtenumzüge mit vielen Gruppen aus dem Schwarzwald, dem Odenwald, sowie einer Gruppe mit oberbayrischen Gebirgstrachten. Selbst die ausländische Presse ("Jamestown Post"- New York , "La Razon"- Buenos Aires) berichtete darüber.
Das Bergsträßer Winzerfest wurde bis zum Jahre 1938 regelmäßig abgehalten. Ein Jahr später brach am 1. September 1939 der zweite Weltkrieg aus und das Winzerfest fand sowohl während des Krieges als auch in den ersten Jahren danach nicht statt. Nach einer Pause von zehn Jahren konnte im September 1948 das 11. Bergsträßer Winzerfest wieder durchgeführt werden. Anfänglich dauerte es nur vier Tage, begann allerdings, wie heute auch, samstags.
1948 - Erstes Winzerfest nach dem Krieg
Am Samstag, den 4. September 1948 um 10 Uhr, eröffneten Bürgermeister Joseph Treffert und Landrat Wilhelm Dengler die Werbe- und Verkaufsmesse in der Bensheimer Berufsschule. Radio Frankfurt kam am Nachmittag mit ihrer Sendung "Doppelt oder nichts" in das ausverkaufte "Deutsche Haus" und mit dem Ausspruch "Es gibt aa Bensem nur" - eröffnete Bürgermeister Joseph Treffert, am späten Nachmittag, vor den Ruinen des Rathauses das Winzerfest 1948. Seitdem ist das Winzerfest aus Bensheim nicht mehr wegzudenken. Auch hier wurde Joseph Stoll wieder tätig, auch wenn er gegenüber Bürgermeister Treffert aufgrund seines Gesundheitszustandes und seiner finanziellen Lage darauf hinwies, dass er ähnliche finanzielle und organisatorische Leistungen wie bei den ersten Winzerfesten nicht mehr leisten könne.
Nichts geht mehr - Corona macht erfinderisch
War es der Zweite Weltkrieg der die Tradition des Winzerfests gänzlich zum Erliegen brachte, so konnte sich Südhessen in den Corona-Jahren 2020 und 2021 zumindest mit zwei Alternativen begnügen. 2020 fand das Winzerfest als "Winzerfest dehaam" statt und man traf sich digital im livestream. Jeden Abend um 19 Uhr konnte man ein illustres Programm und auch einen digitalen Winzerfestumzug bestaunen und vor dem Bildschirm Wein verköstigen. 2021 bestand bereits wieder die Möglichkeit, sich im kleinen Rahmen im Freien und unter strengen Auflagen auf dem Marktplatz zu treffen und das Machwerk der fleißigen Bergsträßer Winzer zu genießen.
1927 - Dokumente Werbewoche
1927/28 - Bilder Werbewoche
1929 - Dokumente Winzerfest
1929 - Bilder Winzerfest
Die unten gezeigten Bilder des Winzerdorfes zeigen die ursprüngliche Variante. Die gesamte Konstruktion bestand aus Nesselstoff, der bemalt und auf Holzrahmen aufgezogen wurde. Jedes Jahr erforderte diese Bauweise eine komplette Neugestaltung. Ein Aufwand der kaum zu stemmen war. Folgerichtig wurde diese Bauart von einer soliden, bemalten Holzkonstruktion abgelöst, die allerdings den Nachteil hatte, dass die Elemente fest zusammengefügt waren und somit nach dem "Abbruch" im Folgejahr wiederum teilweise neu geschaffen werden mussten. Erst im Jahre 1935 erfolgte eine Neukonstruktion1, die sich auf- und abbauen ließ. Diese Bauweise sollte auch nach dem Krieg lange Bestand haben, bis die Sicherheitsauflagen in den 1990er Jahren den Ersatz der festen Holzkonstruktionen durch moderne Zelte vorschrieben.