Das Grenadier- und Voltigeurgewehr des französischen Musters 1777 corrige' bzw. die Infanteriemuskete 1777/1822, in Hessen "perkusioniert" befohlen zu Darmstadt am 10.Oktober 1839

Sinnvoll wäre es zunächst die gesamte Geschichte der Feuerwaffen zu erzählen, doch, wieviel Seiten bedarf eine solche Aufzählung der wichtigsten Fakten und Daten? Zumindest mehr als mir hier zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund möchte ich sehr verkürzt auf die Vorgeschichte eingehen. Um von einer reinen technischen Beschreibung abzuweichen bietet sich an, die Entwicklungsgeschichte einmal anders, nämlich von der taktischen Seite d.h. vom Gebrauchswert einer Waffe zu sehen.
Die Einwirkung der Bewaffnung auf die Taktik In der Übergangsperiode, als die Nah- und Fernwaffen (Schwert, Degen bzw. Bogen u. Armbrust) des Altertums neben den Feuerwaffen kämpften, blieb die Taktik ziemlich gleich. Die Konstruktion der Feuerwaffen war noch primitiv und mangelhaft. Auch die späteren Hakenschützen waren nur zum Ferngefecht geeignet; als Nahwaffe führten sie allerdings das Schwert, doch da sie keine Schutzwaffen trugen, kamen sie im Handgemenge in Nachteil und gegen die Reiterei bedurften sie des Schutzes der Spießträger. Nach und nach jedoch erlangten die Handfeuerwaffen größere Wirksamkeit und verursachten, daß die Gliederzahl der Infanteriemehr und mehr verringert wurde und daß die Zahl der Büchsenschützen mehr und mehr vermehrt und die der Spießträger vermindert wurde. Anfangs wurden die Büchsenschützen und nach Art der Leichtbewaffneten verwendet. Später wurden aus ihnen besondere Abteilungen, die anfänglich mit schmaler Front auf großer Tiefe (bis 37 Glieder) standen. Das erste Glied feuerte und zog sich hinter das letzte zurück um zu laden. Das zweite und die folgenden benahmen sich in ähnlicher Weise. Wenn das letzte Glied gefeuert hatte, war das erste wieder schußfertig. Mit der rascheren Ladeweise verminderte sich die Gliederzahl der Büchsenschützen.
Noch im ganzen 17. Jahrhundert erfolgte die Entscheidung auf dem Schlachtfeld durch den Angriff der Spießträger, deren Beibehaltung auch nötig war, um die Büchsenschützen gegen die Reiterei zu schützen, sowie den entscheidenden Stoß zu führen.
Durchgreifende Änderungen nach allen Richtungen brachte die Bajonettflinte (fusil) mit dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Der Mann wurde damit zum Nah- und Fernkampf gleich geeignet und konnte sich die Reiterei vom Leibe halten. Diese Waffe verdrängte bald den letzten Spießträger aus den europäischen Heeren. Die Zahl der Glieder wurde bei der Infanterie jetzt auf die, welche beim feuern tätig werden konnten, beschränkt. Im Kampf focht die Infanterie in Linie und zwar auf drei Gliedern. Die geschlossene Linie wurde als zweckmäßigste Formation der Infanterie bezeichnet, die Lineartaktik im 18. Jahrhundert in allen Armeen eingeführt.
In der Zeit Friedrich's II. (des Großen) hatte die Infanterie die Entscheidung beinahe ausschließlich durch das Gewehrfeuer herbeizuführen gesucht; sie suchte unbedeckte Gelände zum Kampfplatz auf; Ortsgefechte waren verpönt, die Zusammensetzung der Armee, Ausbildung und damalige Taktik ließen dieselben als gefährlich erscheinen.
In der französischen Revolutionskriegen trat Änderung ein. Die französischen Generale setzten den in Linie fechtenden Alliierten dichte Tirailleurschwärme entgegen. Jene benützten das Terrain und fügten den Alliierten großen Schaden zu, während diese ihnen wenig anhaben konnten. Die offene Ordnung der Tirailleure entsprach der Handhabung der Handfeuerwaffen besser als die geschlossene Linie. Damit wurde die Bajonettflinte als Fern- und Nahwaffe vollständig ausgenützt.
Die Bedürfnisse der Taktik auf dem Gefechtsfeld führte zwangsläufig zu immer besseren Flinten und Musketen und damit auch zur Entwicklung des Grenadier- und Voltigeurgewehres des französischen Musters 1777 corrigé.
Die Bewaffnung der Infanterie mit dem Voltigeurgewehr Modell 1777 Geprägt von den Erfahrungen der letzte Kriege in Europa (1740-45 Schlesischer Krieg; 1740-48 Österreichischer Krieg, Maria Theresia Friedrich der Große) wurde 1746 in Frankreich ein bestimmtes Modell eingeführt welchem, nach Ende des siebenjährigen Krieges (1756-63), ein zweites, als Vorläufer des Hauptmodells von 1777 folgte. Im Jahre 1771 hatte Frankreich bereits einen Vorrat von 558.000 Gewehren. 1774 trugen die Obersten, Oberstleutnante und Kapitäne jeder noch eine Pique oder Espoton (Sturzgewehr) von zwei Meter Länge, die übrigen Offiziere haben die Bajonettflinte. 1776 werden Büchsenmacher zur Besorgung der Gewehrreparaturen beigegeben. 1777 wird, nach gemachten Versuchen über das Verhältnis des Rückstoßes bei verschiedenen Zündlochstellungen, wobei sich kein Unterschied ergab, das Hauptmodell (Voltigeurgewehr Modell 1777) für das französische Infanteriegewehr aufgestellt.
Dieses Gewehr hatte folgende Beschaffenheiten: Das eiserne Rohr ist gegen das hintere Ende konisch verstärkt und mit einer gehärteten Schwanzschraube verschraubt. Das Schloß nach Modell 1648 (Steinschloß). Die Garnitur zur Verbindung der einzelnen Teile hatte vorteilhafte Verbesserungen erfahren. An Stelle der drei oder mehr Ösen und durchgehenden Stifte zur Vereinigung von Lauf und Schaft treten Bänder, Oberband mit Ladestocktrichter, Mittelband mit Riemenbügel, Unterband in der Nähe des Schloßes, mittels Bandfeder am Ort gehalten. Das Abzugblatt ist mit Stoßeisen versehen, um den Ladestock nicht zu weit hinabstoßen (verkeilen) zu können. Die Garniturteile sind aus Messing oder Rotmetall. Der Schaft aus Nußbaumholz, erhielt eine handlichere Form und eine geeignete Senkung des Kolben. Ladestock aus Stahl von ca. 5nun Stärke, mit Gewinde zum anschrauben eines "Krätzers" oder "Kugelziehers", am vorderen Ende mit verstärktem Stoßteil. Der untere Riemenbügel wird vor dem Abzugbügel angebracht. Bajonett mit Hülse und dreikantiger, hohlgeschliffener Klinge, Befestigung mit Feder, ab 1800 mit Ring. Die Normallänge des Gewehres betrug, für Linieninfanterie 1,35 m, Lauflänge 0,98 m, das Kaliber der Kugel 16,4 mm, der Laufbohrung 17,5 mm, das Korn aus Kupfer wurde auf das obere Band gelötet. Das französische Modell 1777 wurde bald von allen Armeen des Kontinentes adoptiert. Modifiziert wurde das Modell 1777 in Frankreich zum ersten mal 1800 danach 1816 und zum letzten mal 1822. Gebaut wurde es zunächst in den französischen Staats-Manufakturen von Charlevill, Mutzig, St. Etienne, Chatellerault und Lille. Später auch in Lüttich, in Herzberg am Harz, im thüringischen Schmalkalden, im badischen St. Blasien und zeitweise in Essen. Neben der langen Muskete, dem Massengewehr der französischen Infanterie, gab es kürzere Modelle für die leichte Infanterie, der Artillerie und der Kavallerie, um nur die wichtigsten zu nennen. Das Gewehr der leichten Infanterie unterschied sich vom "Liniengewehr" durch einen um fünf Zentimeter kürzeren Lauf und einen als Doppelbund ausgebildeten Mittelring mit oberen Riemenbügel. Die "Mousquetons" der Kavallerie wiesen sowohl unkonventionelle wie auch gefällige Besonderheiten auf. Halbschäfte für die leichte, Dreiviertelschäfte für die schwere Kavallerie, mit versenkten Ladestöcken, die "beigesteckt", bis ins innere des Kolbens reichten.
Die Modifikation vom Jahre 1800 (AN IX) Nach zwanzig Jahren Tragzeit und den praktischen Erfahrungen der Revolutionskriege (1789 Ausbruch der ersten franz. Revolution; -1796 Krieg in Italien; 1798 die Franzosen in Rom, Neapel und in der Schweiz; 1799 Napoleon in Ägypten) ließ Napoleon - damals noch "Erster Konsul" der Republik - das Gewehrmodell 1777 von einer Kommission überarbeiten. Die geringfügig "korrigierten" Waffen wurden nach dem Jahr IX der revolutionären Zeitrechnung benannt. Die offizielle französische Bezeichnung lautete ursprünglich: Modéle 1777, corrigé en l'an IX. Mit den korrigierten Musketen und Mousquetons focht die Masse der franz. Armee in den großen Feldzügen zu Beginn des 19. Jahrhunderts (1812 Russischer Krieg; 1813 Völkerschlacht bei Leipzig; 1815 Waterloo). Die wesentlichen Neuerungen an den korrigierten Musketen: Das Gewehr für die leichte Infanteristen, die "Voltigeurs" wurde noch einmal um 5 cm, von 108 auf 103 cm verkürzt, die Maße des Liniengewehres bleiben unverändert. Bei allen korrigierten Waffen bekommt der hintere, spitz zulaufende Teil des Schloßblechs, sowie der Körper des Hahns eine konvexe Fasson (beide Partien waren bisher flach gearbeitet). Alle Ringe sind nun mit Haltefedern fixiert, und die Ladestockfeder ist vom Oberbund in den Unterring verlegt. Beim neuen Bajonett vom Jahre IX ist die Klinge von 38 auf 40,6 cm verlängert worden. Als Gegenlager für den Sperring wird auf der Dillenmitte ein umlaufender Wulst ausgearbeitet.
Klaus Grimm (entnommen der Schriftenreihe der Heimatvereinigung "Oald Bensem" e.V. Februar 1997, Seite 18 ff.)