Mit der Gründung der Heimatvereinigung "Oald Bensem" wurde auch die Biedermeiergruppe ins Leben gerufen. Anfangs waren die Mitglieder der Gruppe die Frauen und Kinder der Bürgerwehrsoldaten. Trotz der frühen Gründung mußte die Biedermeiergruppe bis zum November 1954 warten bis sie ein eigenes leuchtendes Banner erhielten das Joseph Stoll entworfen hatte. Es zeigt das Kirchberghäuschen in einem weißen Blütenkranz auf blauen Seidentuch mit reichem Weingerank. Die Rückseite enthält in einem Immortellenkranz die Inschrift: "Biedermeiergruppe Bensheim".
Die Tracht der Biedermeierdamen und -herren entspricht der in der Biedermeierzeit (1816-1848) von der in der Stadt lebenden Bürgerlichen Stadtbevölkerung. Die Damen trugen meist pastellfarbene Kleider, deren Rock mit Reifen in einer Glockenform gehalten wurde. Den dazu getragenen Hut nennt man Schute.
Die Herren trugen einen farbigen, langschößigen Frack, der vorne offen stand, hohen Stehkragen (scherzhaft Vatermörder genannt), ein bauschiges Halstuch, eine Weste, karierte, gestreifte oder farbige enge Hosen mit Steg, einen Ebenholzstock mit Silberknauf und als Kopfbedeckung einen hohen Zylinder.
Die Biedermeierzeit (1816 - 1848)
Die Bezeichnung „Biedermeier“ geht übrigens auf die deutschen Schriftsteller Ludwig Eichrodt und Adolf Kußmaul zurück, die für die Münchner „Fliegenden Blätter“ von 1855 bis 1857 die Gestalt des schwäbischen Dorflehrers Gottlieb Biedermeier erfanden – einen Menschen, dem nach ihrer Charakterisierung „seine kleine Stube, sein enger Garten, sein unansehnlicher Flecken und das dürftige Los eines verachteten Dorfschulmeisters zu irdischer Glückseligkeit verhelfen. Während Eichrodt und Kußmaul mit dieser Figur und dessen Freund Horatius Treuherz eine Parodie auf das Spießbürgertum abliefern wollten, begann man gegen Ende des 19. Jahrhunderts, das Biedermeier mit der „guten, alten Zeit“ gleichzusetzen und verwendete diesen Begriff als Synonym für Behaglichkeit, Häuslichkeit, Geselligkeit in Familie und im Freundeskreis, für den (auch gestrigen) Rückzug ins Private. Ab 1906 wurde der Begriff für Mode und Möbel aus der Zeit zwischen 1815 und 1848 verwendet, dann auch für den Malstil.
Nach langdauernden Erschütterungen war es den vereinten Anstrengungen der Völker gelungen, Napoleon I. mit seinen Weltmonarchie-Plänen zu stürzen. Man hatte für eine neue Freiheit gekämpft. Jedoch Blüchers Trinkspruch: "Was die Schwerter uns erwerben, laßt die Feder nicht verderben" sprach aus, was Einsichtige fürchteten. Die alten Träger der Staatsgewalt: Fürsten, Diplomaten, Bürokraten, verbündeten sich zur Wiederherstellung des alten Regimentes. Man sprach nicht mehr vom Volk und der Nation, sondern von Untertanen die regiert werden mußten. Metternich, schärfster Gegner aller nationaler und freiheitlicher Bestrebungen, suchte mit absolutistischem Polizeiregiment die alten Verhältnisse wieder herzustellen. Ein sorgsam ausgetüfteltes System gehässiger Verfolgung überzog ganz Deutschland. Wie eine Lähmung legte sich der Alb der Obrigkeit auf die Gemüter. Der Bürger hatte zu schweigen und zu gehorchen.
Da die politischen Verhältnisse ihm jede öffentliche Wirksamkeit und Verantwortung versagten, konnten sich die geistigen Kräfte nur auf anderen, z.B. künstlerischen und kultureller Gebieten betätigen. Auf eine durchaus hausbackene Nützlichkeit bedacht, aber mit hohem sittlichen Ernst und romantisch schwärmerischen Einfalt gemütvoll das Sichtbare und Greifbare auskostend und durch demokratisches Gemeinschaftsgefühl verbunden, spielte sich sein Dasein völlig in Beruf, Familie und Freundeskreis ab. Das Bürgerhaus und seine Häuslichkeit wurden Stätte der Kultur.
Die sooft als armselig und verschlafen bezichtigte Zeit entwickelte einen ganz persönlichen Stil in allen Formen des Lebens. Vom Zuschnitt des Hauses angefangen bis zum letzten Einrichtungsstück besteht eine unverkennbare Einheitlichkeit der Form, die sich von den vorausgegangenen Stilen gefällig unterscheidet. Die öffentlichen Bauten standen noch im Zeichen des Klassizismus, das bescheidene Bürgerhaus konnte sich jedoch den erneuerten Stilformen nicht entziehen. Es schmückte seine Fensterfronten durch fein abgewogene Verhältnisse, betonte den Eingang durch ein paar Säulen und durch ein vorgeschobenes Giebeldach. Auf teures Gestein verzichtete man zugunsten einer billigen Putzverkleidung der einheimischen Ziegel. Die bürgerliche Berufsarbeit bedingte zudem den Einbau von Werkstatt, Warenlager und Laden. Zum Haus gehörten Hof und Garten, dazu oft ein Gemüseacker.
Am sinnfälligsten zeigte sich des Biedermeiers Fähigkeit "aus Armut Tugend zu machen" in der Gestaltung der Innenräume des Hauses. Der "Salon" hat sich zur "Stube" vereinfacht und statt der "Dame" waltete die "Frau des Hauses" hier. Die Häuslichkeit im Biedermeier war ganz auf die Pflege der Gemütlichkeit abgestellt, denn nur mit Hilfe der Gemütskräfte konnte man dem kümmerlichen Leben Wärme einhauchen. In den Möbeln erlebte man die gewandelte Zeit mit der Betonung der geraden Linie, dem Verzicht auf Schmuck durch Verkröpfungen und der Vorliebe für die lichten Hölzer der deutschen Erde. Die Isoliertheit der einzelnen Orte infolge schlechter Verkehrsverbindungen kam dem gesellschaftlichen Eigenleben zugute und wenn der Biedermeier aus seiner Armut eine Tugend machte, so glückte ihm dies mit Hilfe der Bildung. Er bekannte dies in seiner Feststellung: "Bildung macht frei". Bildungsvereine gründeten sich, Lexika und andere enzyklopädische Werke erschienen und wurden fleißig benutzt. Häufige gegenseitige Besuche dienten nicht nur dem Austausch von Höflichkeiten, sondern der Anregung und Weiterbildung. Sollte sich die Geselligkeit zur Festlichkeit steigern, mußte sie im Zeichen der Bildung stehen. So sorgten auch Künstler mit malerischen Aufzügen dafür, daß Veranstaltungen wie z.B. das große Dürerfest im Jahre 1840, eine seltene Höhe erreichten. Auch außerordentlich sangesfreudig war man in dieser Zeit und eine Menge unserer schönsten Volkslieder sind Bestandteil des Biedermeier. Das Theater stand am sichtbarsten im Licht der öffentlichen Teilnahme. Es war zwar auch der Zensur unterworfen, bot aber den Schein einer Freiheit die man ersehnte.
Auf einem Gebiet gab es Freiheit, nämlich bei der Mode. Die alten mittelalterlichen Kleidermoden waren vergessen. Die Männer haben den Zopf im 18. Jh. samt Kniehosen zurückgelassen. Man trug lange Beinkleider, bunte Westen und den Frack sowie den breitschößigen Überrock. Der Zylinder in allen Varianten war Herrenmode, die jungen Leute gingen mit Kappe und Mütze. Die Frauen bevorzugten für ihre Kleider einfache gemusterte und geblümte Stoffe in heilen Farben. Die Taillen waren eng und die Röcke weit. Die Ärmel schwollen an. Im Haus war das Häubchen gebräuchlich und für die Straße kam das "Schutenhütchen" auf.
Zur gleichen Zeit bewirkt jedoch der Rationalismus des 18. Jh. eine tiefgreifende Umwandlung. Sie führt zur Erschließung der exakten Naturwissenschaften. Das moderne Zeitalter war angebrochen und die Technisierung wälzte sich bedrohlich heran. Die Indienststellung der Dampfmaschine leitete die Industrialisierung ein. Das gesamte Wirtschaftsleben veränderte sich; eine Umwälzung der sozialen Struktur begann. Mit der Märzrevolution 1848 endete dieser Zeitabschnitt.
entnommen: Heimatvereinigung "Oald Bensem" (Hrsg): Festschrift zum 50 jährigen Jubiläum der Heimatvereinigung "Oald Bensem" e.V. , Historischen Bürgerwehr "Joseph Stoll Bensheim und Biedermeiergruppe, Bensheim, 1981, Seite 21-25. / Bild: Oaldbensem.de 2015 / adaptiert: Stoll-Berberich 2015